Zwischen Traum und Wirklichkeit

Die Abendsonne scheint auf den Kilimanjaro und ich geniesse die Stimmung, die um meine neue Wohnung herum herrscht. Es ist friedlich, der Berg hat sich frei gemacht von seinem Wolkengewand und liegt in seiner ganzen Mächtigkeit ruhig dar. Zwischen Bananenstauden laufen einige Hühner und Gänse umher und scharren im Sand. Die Tauben des Nachbarn gurren monoton vor sich hin. Unaufgeregtes Hämmern und Treiben im Hintergrund. 



Ich bin letzte Woche in eine Wohnung in Moshi gezogen, die ich nach einer sehr kurzen Suche mittels einer Maklerin eine Woche davor gefunden hatte. Da mein Gehalt eher minimal ausfallen wird und ich noch nicht sicher sein kann, wann ich etwas Unterstützung bekomme, waren vor allem die Preisvorstellung neben meinen persönlichen Wünschen ausschlaggebend. Die Wohnung hat aber immerhin drei Zimmer, Küche und Bad, Wasser und Strom und das KCMC ist in fünf Gehminuten zu erreichen. Dazu ist sie hell und nicht mit furchtbar hässlichen Fliesen oder Alufenstern ausgestattet worden. Anstattdessen gibt es gar kein Glas sondern Moskitogitter hinter Metallstangen und Holzläden sowie Stein- bzw Zementböden, es erinnert mich an Sansibar. Auch ist Moshi deutlich wärmer als Arusha und das tropische Gefühl stellt sich trotz Anblick der Gletscher auf dem Kili täglich ein. 




Karatu zu verlassen ist mir nicht schwer gefallen und zudem durfte ich noch eine Woche zwischen dem Umzug nach Moshi in Usa River bei Freunden auf einem wunderschönen Grundstück am Arusha Nationalpark verbringen. Usa River und vor allem die Menschen dort sind mir seit meinen zwei Monaten, die ich dort im Yogahaus auf der Farm verbracht habe, sehr ans Herz gewachsen, es ist ein bisschen ein Zuhause geworden. Auch jetzt nach wenigen Tagen in Moshi, noch ohne Arbeit und viele Bekannte, zieht es mich wieder am Wochenende nach Usa. Die Gemeinschaft ist ziemlich einzigartig freundlich, willkommen heissend und angenehm divers. Wie auch schon in Mwanza vor 13 Jahren geniesse ich diese Zusammenstellung von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die zudem aus den verschiedensten Gründen, mit den unterschiedlichsten Motiven und Zielen hierhergekommen sind. Und vielleicht auch einzigartig, dass viele von ihnen gekommen sind um zu bleiben oder sind sie geblieben, weil es so schön war - die Geschichte vom Huhn und dem Ei. Es ist auch eine Community in der man nicht auffällt ohne Kinder, in der relativ viel Enddreissig- bis Mitte Fünfzigjährige sind neben einigen Oldies. Mein Einstand war der 80igste Geburtstag meines Nachbarn Rodger, der begeisterter Poet ist und ich zu seinen Ehren das Gedicht Ulysses von Alfred Tennyson vortragen durfte. Er war zutiefst gerührt und wir beide werden den Abend nicht vergessen!


Das Gedicht spricht von der Suche nach einer neuen Welt, der Sehnsucht nach Abenteuer und der Stärke der Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Die Aussagen sind zeitlos und schön - verfolge deine Träume trotz möglicherweise vieler und schwerwiegender Hindernisse auf dem Weg - gib nicht auf und gemeinsam sind wir stärker. 

Und jetzt Moshi und meine neue Aufgabe am KCMC. Meinen Vertrag durfte ich nach einigen Wochen nun heute unterschreiben. Die Zahl beim Gehalt ist gross aber der Wert sehr überschaubar. Die Unterschiede zwischen den Gehältern in verschiedenen Krankenhäusern ist enorm. Insbesondere natürlich Privatkrankenhäuser zahlen teilweise das 3 - 6 fache von dem Gehalt am KCMC. Nun gut, ich habe mir das Ziel gesetzt finanzielle Unterstützung auf allen möglichen Ebenen zu beantragen. Das bedeutet staatlich, NGO, kirchlich und auch etwaige andere Geldgeber, die hier nicht einzuordnen sind, werde ich avisieren. Gerne nehme ich Vorschläge aller Art zu Organisationen, Partnern und Geldgebern aus Deutschland, der Schweiz und weltweit entgegen! Im November werde ich ausserdem für jeweils einige Tage in Deutschland und in der Schweiz sein und möchte die Gelegenheit nutzen mich persönlich bei der ein oder anderen Organisation und Kollegen/in vorzustellen. 

Mein hiesiger Chef lässt mir dazu die volle Freiheit in der Ausgestaltung unseres gemeinsamen Projektes eine Global Surgery Division aufzubauen. Das heisst für mich aktuell wieder ganz viel Recherche und Netzwerken. Ich arbeite also eigentlich auch schon und diese Arbeit macht mir Spass! Es ist schön in dem Feld zu arbeiten, dass mich rundherum begeistert und erfüllt! Auch wenn vieles so unsicher ist und ich häufig mit Ängsten zu meiner Zukunft aufwache, ist die Vorstellung jetzt in einem grossen Spital in der Schweiz in der Viszeralchirurgie zu arbeiten nicht das was mich glücklich machen würde. 

Ich lebe gerade meinen Traum und das ist mir vor wenigen Tagen das erste Mal bewusst geworden. Nach den letzten eher anstrengenden Monat ist ein Bild entstanden, oder vielleicht eher, hat sich eine Skulptur geformt. Noch sehr in ihrer Rohfassung aber eine ausreichende Grundlage um daran zu arbeiten. So forme ich gerade mein Leben, mit viel Intention, Achtsamkeit und Reflexion. 



Während es hier jetzt immer stetig wärmer wird bis die Regenzeit im März die Temperaturen wieder fallen lässt, ist der Herbst in Europa angebrochen. Der Spätherbst ist in den Bergen in der Schweiz die kurze Jahreszeit in der es einem einmal schwerfällt eine Aktivität in den Bergen zu wählen - kalt, nass und weiter oben vereist. Trotzdem freue ich mich auf die Schweizer Berge Anfang Dezember, die Freiheit gedankenlos durch die Natur zu streifen, kein Mensch, keine Sorge, nur dem schmalen Pfad folgend bis zum Gipfel und dann wieder zurück. Die Berge, ja die vermisse ich! 

Mit noch etwas mehr finanzieller Sicherheit möchte ich mir hier ein Auto kaufen und dann auch mein Erkundungsdrang folgen, die Freiheit geniessen mich in abgelegene Gegenden zu bewegen und wieder wilde Natur und Abenteuer darin zu erleben. Alles zu seiner Zeit. 

Ich wünsche Euch allen eine erträgliche Herbstzeit insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Kriegslage in so vielen Gebieten dieser Welt -- ich hoffe ganz fest, dass das Leid im Nahen Osten sich bald wieder zumindest minimiert!

Ich denk an Euch!

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