Mit Geduld entsteht aus dem Puzzle ein Bild

Die Vorstellung von Winter in Europa fällt mir grad sehr schwer. Ich habe das Gefühl der fehlende Jahreszeitenwechsel hier unterbindet mein Zeitgefühl komplett. Alles ist nur noch eine nicht voneinander unterscheidbare Zeitmasse. 
Dazu kommt, dass ich seit Ende letzten Jahres in meiner Komfortzone angekommen bin. Kein Ausnahmezustand, keine ständig wechselnden Wohnorte und seit Beginn diesen Jahres keine Sorge um fehlende Papiere mehr! Ich bin wohl in Moshi und am KCMC angekommen. 


Ich bin ein Freund von wechselnden Umständen, Abenteuern und Veränderung -- häufig fällt es mir sogar schwerer in einem status quo zu verweilen und im Hier und Jetzt kreativ zu werden und zu erschaffen. 

Schon häufig habe ich mich gefragt, ob meine vielen Umzüge und Ortswechsel hilfreich sind oder nur Ablenkung?! Sollte ich nicht mal an einem Ort bleiben und den Drang nach Veränderung aussitzen? Vielleicht kommt dann die Erleuchtung und das wahre Glück ;) 
Naja.. mir macht es schon auch sehr viel Spass mich immer wieder an neuen Orten einzuleben, die neue Umgebung zu erkunden, neue Menschen und soziale Strukturen kennenzulernen. 



Moshi ist eine sehr angenehme Kleinstadt mit viel Grün und kurzen Wegen. Richtig viele Menschen habe ich hier noch nicht kennengelernt, da ich meine Wochenenden noch vornehmlich in Usa River verbracht habe. Meine Freunde dort sind mehr sehr ans Herz gewachsen und so verbringe ich viele Wochenendtage am Rande des Arusha Nationalparks in einer wunderschönen Umgebung.



In der Schweiz habe ich jeden freien Tag auf den Trails in den umliegenden Bergen verbracht. Es gab kaum eine bessere Beschäftigung für mich als die unendlichen Schweizer Berge zu erkunden und die wunderschönsten Ecken kennenzulernen. Wahrscheinlich war ich fast etwas zwanghaft in der Ausübung meiner Lieblingsbeschäftigung .. es hat mein Leben ganz und gar erfüllt.
Hier kann ich diese Leidenschaft nicht so ohne weiteres ausleben. Alleine unterwegs zu sein, kann riskant sein, sich Gruppen anzuschliessen war noch nie meine Präferenz und es gibt hier auch kaum welche. Dazu kommt dass es nur wenige Wanderwege gibt und diese nicht ausgeschildert sind. Last but not least sind die schönen Gegenden ohne ein Auto nur schwer zu erreichen. 
Ich vermisse die Berge und die Trails und das Allein-sicher-unterwegs-sein. 
Das ist mir in den letzten Wochen nach Erreichen eines konstanten Wohnortes und meiner Komfortzone  besonders aufgefallen. 
Um das zu ändern und mir meine Passion wieder einfacher zugänglich zu machen habe ich mir ein Auto gekauft...yipppieeh! Ich bin sehr stolze Besitzerin eines Toyota Rav4!



Mit diesem neuen Gefährt bin ich auf mein erstes Trailrun Wochenende am westlichen Fusse des Kilimanjaros gefahren und habe ein Wochenende mit Campen, Laufen, Anderen zujubeln und mit vielen netten gleichgesinnten Menschen eine gute Zeit haben verbracht.. Kilitrails 2024 war ein Fest!





Ich habe Anfang Januar meine Lizenz zum Operieren bekommen ;) was ein grosser und lang ersehnter Schritt! Der Zugang zum örtlichen Dokumentationssystem des Krankenhauses habe ich dann auch eine Woche später nach Überwinden einiger bürokratischer Hürden erhalten. Seitdem bin ich nun also Medical Specialist und darf auch als das Agieren. Wie sieht meine Arbeit also aus?
Ich bin Teil der Acute Care Surgery Unit. Wir sind zwei Fachärzte und circa zwölf Assistenzärzte. Wir sind für alle Notfallaufnahmen zuständig, betreuen die Patienten auf der Station, wenn sie abends oder nachts operiert worden sind, und operieren sie nach weiterer Diagnostik oder sobald sie die Operation bezahlen konnten. 
Im KCMC und den meisten Krankenhäusern in Tansania muss alles vom Patienten bzw seinen Angehörigen im Voraus bezahlt werden und nur sehr dringende Notfallinterventionenn werden vorübergehend davon ausgenommen. Das ist maximal mühsam und verhindert sehr häufig eine schnelle Diagnostik oder weiterführende Untersuchungen. 
Die Top 10 Diagnosen aufgelistet auf einem Blatt, was auf der Station aushängt:



Number 1 und sehr traurig > Kopfverletzungen meist nach Motorradunfällen, viele junge Männer, die oft nur einen halblebendigen Eindruck machen.. leider nichts zu beschönigen hier!

Number 2 > Intestinal obstruction also auf deutsch Darmverschluss.. ist häufig, vor allem da es viele Volvulus gibt, ist aber besonders häufig als Diagnose da alles was eine schwere Bauchfellentzündung macht auch einen vorübergehenden Darmverschluss macht... also steckt häufig noch eine andere Diagnose dahinter! Die meisten die ich bisher gesehen habe, waren perforierte Magenulzera und Appendicitis. 

Nummer 3 > Diabetic Foot ulcer, nicht nur bei uns ist Diabetes mellitus eine chronische Erkrankung mit vielen Komplikationen und bei zu später und/oder fehlender Behandlung starker Einschränkung der Lebenserwartung. 

Nummer 4 > Brustkrebs, leider steigen die Zahlen von Brustkrebs weltweit stark an. Hier kommen die Frauen leider häufig in schon fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung. Das Wissen über frühe Zeichen von Erkrankungen fehlt in der Bevölkerung und die Hürden sich in dem einzigen Brustzentrum dieser Region vorzustellen sind gross.

Nummer 5 > Ösophaguskarzinom .. eines dieser Rätsel hier das mich sehr beschäftigt. Die Patienten, die zu uns kommen, können allesamt nicht mehr essen. Sie haben eine hochgradige Dysphagie und berichten von zunehmenden Schluckbeschwerden in den letzten Monaten. Die meisten von ihnen haben weit fortgeschrittene Geschwüre, die die Speiseröhre häufig komplett verschliessen. Die Ursache für das gehäufte Auftreten dieser Krebsform ist noch unklar. Laut Studien wurde insbesondere im Norden Tansanias das vermehrte Auftreten, insbesondere auch bei jüngeren Patienten, festgestellt. Leider können wir für diese Patienten nicht viel mehr tun als ihnen eine Ernährungssonde in den Magen einzulegen und sie für die Evaluation einer Bestrahlungsbehandlung nach Daressalam zu schicken.

Nummer 6 > Magenentleerungsstörung .. dieser liegt häufig ein Magen- oder Pankreaskarzinom zugrunde, das im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr kurativ:heilend operiert werden kann und wo hier zu palliativen Zwecken eine Umgehungsoperation durchgeführt wird.

Nummer 7 bis 10 > sind die üblichen Verdächtigen der Allgemeinchirurgie, die wenige Tage vor und nach erfolgter Operation auf der Station sind.

Ich habe so viele Einblicke ins KCMC, die spannend, frustrierend und sehr traurig sind. So richtig fehlen mir noch die Worte dafür und ich habe das Gefühl, dass die Zeit noch nicht ausgereicht hat für ein vollumfängliches Bild. 
Im Moment würde ich meine Zufriedenheit mit der Arbeit hier als un- bis genügend bezeichnen, noch bin ich auf der Suche nach einer Nische, einer Aufgabe, der vollumfänglichen sinnstiftenden Tätigkeit...haha, vielleicht gibt es das garnicht! 

Geduld, Augen auf .. und ich lerne jeden Tag dazu. 



Viele Grüsse aus dem aktuell sehr heissen Moshi!

Fühlt Euch gedrückt!

Eure Judith 















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