Reality check number #

Es sind etwas mehr als zwei Wochen vergangen und bis gestern nachmittag, hatte ich nicht geplant diesen Post zu schreiben. Was war passiert in den letzten zwei Wochen? Nicht viel Konkretes, jeder Tag ein wenig mehr Erkenntnis. Worüber? Mich, meine Umgebung, meine Wünsche, die Realitäten.



Zunächst erstmal habe ich einige Tage in Mwanza verbracht. Mwanza ist eine relativ grosse Stadt im Westen des Landes am Viktoriasees. Dort hatte ich 2009/10 die Studien für meine Doktorarbeit durchgeführt und ein Grossteil meines Praktischen Jahres absolviert. Mwanza ist mit dem Bus circa 14 - 16 Stunden von Moshi entfernt. Wie lang sich diese Stunden in einem tansanischen Bus anfühlen, hatte ich verdrängt bzw. meine Leidensfähigkeit hat in den letzten 10 Jahren  stark abgenommen und so hatte ich die Busreise freiwillig angetreten. Nach maximal 6 Stunden konnte ich dann auch nicht anders als noch im Bus sitzend einen Flug für meine Rückreise zu buchen.

In Mwanza durfte ich alte Bekannte und Freunde wiedertreffen, was eine grosse Freude! Menschen mit denen man substantielle Zeit verbracht hat, bleiben einem doch nah auch wenn man sie lange nicht gesehen hat. Man kennt sich halt, ein sehr schönes warmes Gefühl. Ich habe mich sehr schnell wieder aufgehoben gefühlt.

Ein Freund und ehemaliger Kollege ist jetzt als Allgemeinchirurg in einer Leitungsposition im Bugando Hospital. Mit ihm durfte ich einige Stunden in seiner Klinik und im OP verbringen. Er konnte mir von der ersten Minute nicht seine Frustration über den Ort, die Kollegen und das System verbergen. Korruption, Desinteresse, fehlendes Engagement, um nur die Schlagwörter zu nennen.... Nun ja, dachte ich... gut, dass ich nicht nach Mwanza zurückgegangen bin. Dieser Ort scheint weiterhin schwierig zu sein, fehlende Führung, falsche Anreize.. es gibt ja viele Gründe wieso Kliniken, Strukturen und Teams überall auf der Welt nicht funktionieren. Mit etwas Hoffnung ist es ja woanders und vor allem in Moshi besser.

Zum Hintergrund: ich hatte kurz vor der Reise ein Bewerbungsgespräch bei dem Medical Director des KCMCs (Kilimanjaro Christian Medical Center), dem grössten Unikrankenhaus hier im Norden Tansanias. Er und die Co-Direktorin wirkten sehr aufgeschlossen, dynamisch und insgesamt interessiert an Entwicklung.. und an mir. Als ich die Frage positiv beantwortete, ob ich für ein lokales Gehalt arbeiten würde, waren sie ganz aus dem Häuschen. So weit so gut, war mein Plan also erstmal in Moshi am KCMC Fuss zu fassen und die Möglichkeiten für eine sinnvolle Tätigkeit zu eruieren. Und dann auf diesem Weg evtl auch Geldgeber für diverse chirurgische Projekte zu finden. 

Gestern habe ich nun einen Chirurgen in Moshi getroffen, der hier mehr als sechs Jahre gearbeitet hat und mir all seine Frustration mit zu Bugando sehr ähnlichen bzw deckungsgleichen Details schilderte.

Der Schock sitzt und irgendetwas in mir ist auf jeden Fall erschüttert worden. Zwei Meinungen, meine eigenen Beobachtungen aus Zanzibar (aufgrund derer ich nicht mehr dort arbeiten möchte) und nun?



Erstmal werde ich weiterhin versuchen am KCMC zu arbeiten. Mir einen eigenen Ein-/Über- und Ausblick verschaffen. Dabei schreibe ich versuchen, weil ich weiss, dass mich da noch ein langer administrativer Aufwand erwartet, mit stundenlangem Warten auf einzelne Schriftstücke und tausende Male Nachfragen. Dazu kommen die Kosten für die Zulassung und Arbeitserlaubnis, die ich nicht unbedingt aus eigener Tasche bezahlen wollte. Lets see... be patient. One step at a a time!




Ich werde es aber auch von jetzt an ruhiger und lockerer angehen lassen, mich nicht mehr zu sehr stressen, dass das hier alles einen Sinn ergeben muss. 

Und vielleicht auch noch in ganz andere Richtungen denken, andere Optionen in Betracht ziehen und vor allem in mich hineinfühlen, was mir wichtig ist.



Ich denk an Euch alle und vermisse Euch sehr!!!

Liebste Grüsse in alle Ecken und Ebenen.. eure Judy


P.S.: Ich bin mir dessen bewusst, dass diese Texte nur Bruchstücke meiner und der von mir wahrgenommenen Welt widerspiegeln. Sie sollen Denkanstösse sein, für mich und Interessierte. Ich freue mich, die Details in persönlichen Texten oder Gesprächen zu erörtern!





Comments

Daniel said…
...welcome back - ja so ist es in Tansania - aber auch in Kenia und anderen Ländern, wir Weiße etwas geben wollen.
Judith, keine Eile!
Ein Jahr oder 2 Jahre brauchst Du Zeit und die Sprache muss sitzen und - dann heisst dies noch lange nicht, dass Du gleichberechtigt und ungefragt Deine Meinung kund tun kannst... hahahah
Es ist so: Jede Organisation wird meist autokratisch geführt. Und alles - wie auch bei uns - dreht sich ums Geld.
Und natürlich um Einfluss und um Eitelkeiten. Das ist ja in unsere Krankenhäusern ähnlich.

In Ländern des globalen Südens ( um das korrekt auszudrücken) ist für uns vieles gewöhnungsbedürftig.
Bitte nicht aufgeben!!
Ist man altruistisch unterwegs hat man (Frau) es einfacher!

Ggf hast Du ja nach einer gewissen Zeit Lust was "eigenes" zu machen:
Ich versuche mich gerade im fundraisng (65.000.-€)für ein kleines Landkrankenhaus ( Zahanati), mit Doc, und pharmazetical assistance - sehr basic, autark aber effizient!
Es ist in dem Gebiet zwischen Morogoro und Iringa am Ruaha River, 20 km von der Straße entfernt. Einzugsgebiet von ca. 70.000 Menschen die keine Versorgung haben. Leider gibt es dort auch noch Beschneidungen (FGM) bei den Bantu Afro Arabischen Mädchen. Für einige haben wir ein safe-house in der Region. Also super spannend und man tut was richtig GUTES.

Ich bin September unten mit einer Gruppe, die unsere Projekt anschaut - da werd ich wenig zeit haben, es sei denn Du kommst nach DSM - oder dann ab Ende Dezember - da bin ich wieder da...

Alles GUTE - bin gespannt auf Deinen nächsten Eintrag:
Daniel
Liebe Judith,
Du weißt längst aus eigener Erfahrung: Afrika hat viele Gesichter, es zeigt nicht immer nur sein freundliches. Aber es lässt einen nie mehr los. Alles Gute! Mögest Du erreichen, was immer Du Dir vorgenommen hast!
Herzliche Grüße, Thomas

PS Was immer man von Ernest Hemingway und seinen Jagdsafaris halten mag, er ist der afrikanischen Mystik recht nahe gekommen: "In Afrika ist etwas im Morgenlicht wahr und mittags eine Lüge, und man gibt nicht mehr darauf als auf den reizenden, von hohem Gras gesäumten See am anderen Ende der sonnenversengten Salzebene. Man hatte diese Ebene am Vormittag durchquert, und man weiß, es gibt dort keinen solchen See."

Popular posts from this blog

Neue Wege, alte Wege, schöne Wege, dunkle Wege - Freude, Sehnsucht, Angst.

die kühle mwanzas..