Reisende zwischen den Welten


Zwei Wochen in Karatu und es eröffnen sich neue Welten in mir und für mich.

Das Krankenhaus ist klein, in einem sehr ländlichen Gebiet und die Bevölkerungsgruppe der Maasai macht ein Grossteil der Patienten aus. 

In den letzten zwei Wochen allein kamen ein Dutzend Patienten mit Erkrankungen, die teilweise Wochen, Monate oder Jahre sich entwickeln konnten, alle zuerst von traditionellen Heilern behandelt wurde, dann häufig auch schon in anderen Krankenhäusern nur zum Teil oder falsch behandelt worden sind. Die Patienten kommen auch hier nicht in ein Wunderspital, das alle retten kann... Nein, sie sterben auch hier, wenn sie bereits schwerwiegende Komplikationen entwickelt haben. Das ist schwer hinzunehmen, da oft der Rückschluss in der Famillie/Gemeinde des Patienten ist, dass der-/diejenige gestorben ist, weil er ins Krankenhaus gekommen ist.


Die Weltenunterschiede sind enorm und ich kratze gerade erst an der Oberfläche. Die Maasai beschneiden Jungen und Mädchen im Kindesalter ohne jegliche Betäubung, die Kinder insbesondere die Jungen dürfen bei dieser Prozedur kein Schmerzempfinden zeigen.

Diese Patienten als Erwachsene scheinen extrem hart im Nehmen. Wir haben eine 30 jährige Patientin mit einer Magenperforation operiert, die diese bereits seit einer Woche hatte, so dass ihr Bauch voller Eiter war und sie schlecht atmen konnte. Sie ist trotzdem noch zum CT gelaufen und hat mit grossen Augen die futuristisch anmutende Maschine begutachtet. Nach der Operation war sie sehr schnell wieder auf den Beinen und hat 4 Tage später das Krankenhaus verlassen, als wäre nichts geschehen. 

Manchmal würde ich gern in die Köpfe der Menschen hineinschauen. Auch meinen tansanischen Kollegen ist nicht immer klar, wieso Patienten entscheiden behandelt oder nicht behandelt werden zu wollen, in ein nächstgrösseres Krankenhaus verlegt werden zu wollen oder direkt nachhause entlassen zu werden. Ein Grossteil dieser Entscheidungen wird aufgrund der vorhandenen und nicht vorhandenen Finanzen getroffen. Die Behandlung hier in Karatu ist nicht teurer als in einem staatlichen Krankenhaus, eine ärztliche Konsultation kostet 4 Dollar (USD), ein Ultraschall 6 USD, das CT 100 USD und eine Operation kostet 140 USD. Das ist für die meisten Menschen hier sehr viel Geld. Muss bzw wird empfohlen dass ein Patient in das nächstgrössere Krankenhaus  verlegt wird, kommen noch deutlich höhere Kosten auf die Familie zu. Aber neben dem Geld spielen auch Glaube und Tradition der Familie eine sehr grosse Rolle. Die traditionelle Medizin hat einen sehr hohen Stellenwert und wird sehr häufig vor einem Besuch im Krankenhaus konsultiert. Aber auch nach der Entlassung oder nach dem alle Möglichkeiten der Heilung im Krankenhaus ausgeschöpft wurden, wird der Patient wieder zu traditionellen Heilern gebracht. 



Die Operationen, die hier zweimal in der Woche auf einem am Vortag festgelegten Programm stattfinden fallen etwas aus meinem Repertoire. Hier operiert der Allgemeinchirurg noch Alles! Sehr spannend und ich bin froh hier zu sein, um all diese Eingriffe zu sehen, zu assistieren und nach einiger Zeit auch selbst durchzuführen. Den Kollegen hier ist es nicht verständlich wieso meine Ausbildung so reduziert ist, wenig können sie wahrscheinlich verstehen wie viele Ärzte in allen Fachrichtungen bei uns arbeiten und sogar in kleineren Krankenhäusern Tonsillektomien von HNO Ärzten, Urethroplastien von Urologen und Hysterektomien von Gynäkologen durchgeführt werden. Da fühle ich mich zwischendurch etwas nutzlos, speziell an diesem Ort, an dem es noch Laparoskopie gibt für minimalinvasives Operieren, was mehr mein Schwerpunkt ist.



Letzte Woche habe ich eine wichtige Entscheidung gefällt, die mir nun nach vier Monaten Gewissheit über meinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt der nächsten Monate ggf. Jahre gibt. Ich werde ab November an das Universitätskrankenhaus KCMC in Moshi gehen. Der neue Chef der Chirurgie hat mich unter anderem überzeugt, dass die Uni der richtige Ort ist um klinisch zu arbeiten, spannende Fälle zu sehen und  eine neue Schnittstelle für Global Surgery aufzubauen. Insbesondere der Aufbau von internationalen Kooperationen mit Universitäten und Krankenhäusern in Europa und Amerika unter dem aktuell stark an Bekanntheit wachsenden Global Surgery Thema hat mich überzeugt doch in Moshi zu beginnen und auch meine Gehaltsvorstellungen wieder stark herunterzuschrauben. Die Erfahrungen hier in Karatu waren ein weiterer ausschlaggebender Punkt. Ich habe für mich erkannt dass ich hier in Tansania gern an einem grossen Krankenhaus anfangen möchte zu arbeiten. Wie überall auf der Welt findet man zumindest theoretisch das höchste Level an medizinischer Versorgung in den Universitätskrankenhäusern und die Grösse des Teams verspricht Austausch und auch Diskussion über Fälle, so zumindest die Hoffnung. Perspektivisch für einen längerfristigen Aufenthalt im Norden Tansanias ist der Einblick ins KCMC enorm hilfreich. Sogar nur für Überweisungen hierhin ist es hilfreich die Strukturen und noch besser das Personal der jeweiligen Disziplin zu kennen. 

Also viele gute Gründe nach Moshi zu gehen.. und dabei habe ich noch nicht erwähnt, dass ich mich auf die deutlich grössere Stadt mit ihren diversen Menschen und vielfältigen Angeboten auch sehr freue. Karatu hat sich doch als Dorf, von der die nächste Stadt sehr weit entfernt ist, herausgestellt. 

Es scheint ich komme also nach vier Monaten zu meinem Anfangspunkt zurück, und obwohl es vielleicht wie viel vergeudete Zeit anmutet, bin ich sehr froh über all die Erfahrungen und Entscheidungen. Insbesondere die Zeit hier in Karatu bei Fame hat mich sehr viel gelehrt und diese Entscheidung für das KCMC und Moshi erleichtert. 



Zwischen den Welten zu reisen, einzutauchen und wieder aufzutauchen, ist wohl das grösste Privileg das ich hab. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Bis bald und ganz viele Grüsse in alle Richtungen, ich freue mich dass ihr dabei seid!!

Eure Judith - Judy

P.S.: Zu den Fotos:

1. Ist das Gemälde am Eingang zum Administrationshaus im Krankenhaus von Fame in Karatu, mein absolut Lieblingsbild!

2. Der rote Sand bei Sonnenuntergang... schön anzusehen, aber so viel Staub habe ich noch nicht in meiner Wohnung gesehen!

3. Kaffeeblüte auf den Plantagen in der Nachbarschaft.. obwohl es so trocken ist, ist es offenbar Blütezeit. Die Plantagen werden zwar bewässert trotzdem erstaunlich.

4. Mein Geburtstagsmittagessen - tansanische Tortilla mit etwas Kohlsalat und Chilisauce - super lecker!

5. Ich und mein Rad auf meiner ersten und bislang letzten Radtour über die Hügel von Karatu. 



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